Informationen zum Seminar

#1 von Hans , 17.10.2021 13:07

Seminar am Fr. 12.11.2021 17:30 – 19:30 Uhr

Hegel und der Klimawandel: Zur gesellschaftlichen Relevanz der dialektischen Naturphilosophie

Referent: Dr. Fritz Reusswig, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Es soll gezeigt werden, dass ein von Hegel inspiriertes dialektisches Denken dazu in der Lage ist, aktuelle Probleme der gesellschaftlichen Naturverhältnisse in der angemessenen Komplexität kritisch zu reflektieren. Dafür ist zum einen die spekulative Dialektik als „Denkform“ oder methodisches Rüstzeug verantwortlich, zum anderen die Struktur des Hegelschen Systems, das Natur als eigenen Systemteil kennt, der eben nicht auf Logik oder Geist „reduziert“ werden kann, wie oft irrtümlicherweise behauptet wird. Drittens schließlich bietet Hegels genuin philosophische Thematisierung von Natur (um nur sie zu nennen) im Unterschied zur Zugangsweise der Naturwissenschaften einen guten Ausgangspunkt, um eine angemessene Wissenschaftskritik und Fragen der Interdisziplinarität hinreichend reflektiert anzugehen.

Das Seminar wird per Zoom stattfinden.
Anmeldung unbedingt erforderlich über: post@akdiamat.de
Die Teilnahme an einem Vorbereitungsseminar wird empfohlen.
Kostenbeitrag von 5 Euro, bitte vorab auf das Konto Akdiamat e.V , IBAN: DE47 8306 5408 0004 241010 überweisen.


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Die gesellschaftliche Relevanz einer dialektischen Naturphilosophie heute

#2 von Hans , 03.11.2021 17:54

Hier ein Text von Eva zur Auseinandersetzung mit der Position von Reusswig:

Die gesellschaftliche Relevanz einer dialektischen Naturphilosophie heute bringt Reusswig wie folgt auf den Punkt:
„(Ökologische) Nachhaltigkeit ist, weit davon entfernt, ein Spezialthema etwa von Umweltökonomie oder
–soziologie zu sein, ein praktisch hoch bedeutsames Schlüsselthema einer kritischen Gesellschaftstheorie
geworden, deren normative Minimalthese es sein müsste, Gesellschaft so zu denken, dass ihre physische
Reproduktion über die Zeit (und unter Einschluss des guten Lebens aller Gesellschaftsmitglieder) möglich bleibt.
(…) Dazu braucht es viel, unter anderem Dialektik.“

Die findet Reusswig bei Hegels Naturphilosophie, die er sowohl gegen technizistischen Modernismus der heutigen
Naturwissenschaften als auch rückwärtsgewandten Romantizismus (à la Heidegger & Co.) in Stellung bringt.
Wesentlich ist für ihn Hegels Einheit von System und Methode, Einheit von Logik und Realphilosophie. Realphilosophisch
ist der Mensch als Naturwesen aus der Natur als ihr gegenüberstehend soweit entwachsen, als er ihr als Subjekt wie
einem Objekt gegenüber stehen kann, ohne dass er dadurch seine Verwurzelung in der Natur überwinden könne
(mit dem Subjektiven findet das Objektive seine Setzung, die Natur als ein „an sich“ dem Menschen gegenüberstehend).
Naturphilosophie muss demnach auf unser Naturverhältnis reflektieren: „Dieses ist ein Doppeltes: theoretisch verhalten
wir uns zur Natur, indem wir sie anschauen und begreifen, praktisch, indem wir uns in sie hineinbegeben und unseren
Zwecken gemäß verändern.“ Reusswig zitiert in diesem Zusammenhang auch Kant, nach dem in seiner Praxis der Mensch
an den Dingen der Natur interessiert ist, nicht an der Natur der Dinge. Als das Erstere identifiziert Reusswig das instrumentelle,
ökonomische Verhältnis zur Natur, Letzteres als das naturwissenschaftliche. Naturphilosophie muss beides übergreifen, beide
Verhältnisse in ihrer Einheit und Widersprüchlichkeit kritisch betrachten: Ohne Interesse an der Natur der Dinge keine
Naturbeherrschung, ohne Interesse an den Dingen der Natur keine gesellschaftliche Entwicklung.

In Bezug auf den Klimawandel nimmt er Hegels Betrachtungen über das Klima als wesentliche Bedingung des menschlichen
Lebens generell als auch spezifische klimatische Bedingungen für die arbeitsvermittelte gesellschaftliche Entwicklung auf.
(Hegel spricht beim Erdkörper vom „Kristall des Lebens“ und analysiert die Subsysteme von Atmosphäre, Biosphäre und
Wasserkreisläufe als miteinander zusammenhängend und sich durchdringend. Er begründet bzw. expliziert damit die
Dialektik der Natur.)

Der Mensch als bewusstes Tier nimmt (nach Hegel) den in der Natur vorgebildeten (aber noch diffusen, nur an sich seienden)
Geist in sich auf und entwickelt ihn in eigener Geschichtlichkeit, nicht indem er sein Tiersein negiert, sondern im Bewusstsein
dessen (also seines Tierseins) schafft er erst die Möglichkeit, sich zum Vernunftwesen weiter zu entwickeln, sich Natur zum
Objekt zu machen (Theorie/Erkenntnis und Praxis/Zwecksetzung).

Der so naturphilosophisch begründete Umgang mit dem Klimawandel übergreift damit die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse
(Klimamodelle) und die gesellschaftliche Bewertung sowie Anpassungsstrategien, die niemals nur rein technisch sein können
oder in ökonomischen Wertkategorien erfolgen kann, sondern immer auch die ethische Dimension (des für wen in welcher Form)
beinhalten, also eine Entscheidung darüber, wie man den Planeten und sich selbst erhalten kann sowie die Entscheidung darüber,
wie dies im Allgemeininteresse zu bewerkstelligen ist. Dies weise über die derzeitige ökonomische und institutionelle Verfasstheit
der Gesellschaft hinaus.

Hier nun wäre anzuknüpfen mit Marx: Marx nimmt in Bezug des Mensch – Naturverhältnisses Hegel in sich auf, um weiter zu
schreiten von der Realphilosophie in die Gesellschaftstheorie und dort jene Akteure ausfindig zu machen, die gesellschaftlichen
Fortschritt fördern und vorantreiben, und jene, die ihn verhindern. Nach der Naturvermittlung kommt also die Klassenvermittlung
menschlicher Existenz in den Blick, damit die Notwendigkeit der Transzendenz der – klassenzerrissenen – Gesellschaftsformation
(Kapitalismus).

Zwischen Transformation (Umbau im Bestehenden) und Transzendenz (Revolution und Überwindung kapitalistischer Verhältnisse)
haben wir wohl den Widerspruch mit Reusswig, den wir nicht antagonistisch fassen sollten: Jede immanente Transformationsbewegung
stößt logisch und praktisch an die Grenzen dieses Systems, die wir im Mitgang aufzeigen können und müssen (nicht in der
Entgegensetzung einer an sich in die richtige Richtung weisenden Orientierung), um die auf der „richtigen Spur“ befindliche Bewegung,
allen voran der Bewegung aus dem Positivismus und der gesellschaftlichen Begriffslosigkeit der Naturwissenschaften heraus in die
gesellschaftliche Verantwortung, weitertreiben zu können.


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RE: Die gesellschaftliche Relevanz einer dialektischen Naturphilosophie heute

#3 von HGG , 17.11.2021 15:54

Zitat
Zwischen Transformation (Umbau im Bestehenden) und Transzendenz (Revolution und Überwindung kapitalistischer Verhältnisse) haben wir wohl den Widerspruch mit Reusswig, den wir nicht antagonistisch fassen sollten: Jede immanente Transformationsbewegung stößt logisch und praktisch an die Grenzen dieses Systems, die wir im Mitgang aufzeigen können und müssen (nicht in der Entgegensetzung einer an sich in die richtige Richtung weisenden Orientierung), um die auf der „richtigen Spur“ befindliche Bewegung, allen voran der Bewegung aus dem Positivismus und der gesellschaftlichen Begriffslosigkeit der Naturwissenschaften heraus in die gesellschaftliche Verantwortung, weitertreiben zu können.



Ich behaupte, dass die Natur einen solchen Unterschied (zwischen Transformation und Transzendenz) nicht kennt und führe dazu Rainer Thiels "Allmählichkeit der Revolution" (LIT-Verlag 2000) an, in dem er die Nicht-Unterscheidung von Transformation und Transzendenz als einen Kern dialektischen Denkens herausarbeitet.


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zuletzt bearbeitet 17.11.2021 | Top

   


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